Perfect Mam- / Perfect Dad-Syndrom ?

Ich will doch alles so gut machen wie es nur irgendwie geht mit meinem Kind !!! …

Jörg Mangold

Ab wann ist das Perfektionismus? Wann wird dieser Wunsch eine Bürde, die dem Ziel genau im Weg steht?

Klar, wir wollen alle gute Eltern sein. Daran ist doch auch nichts falsch!

Aber für alle, die eine perfektionistische Ader in sich haben, …

hey hier spricht ein Experte! Da zähle ich mich voll dazu! Da bin ich Teil der Selbsthilfegruppe!“  

 …  lohnt es sich hier weiter zu forschen:

Wann hilft mir der innere Perfektionist weiter? Bei was? Wann steht er mir eigentlich im Weg?

  • Bringt er mich ständig unter Druck?
  • Sorgt er dafür, dass ich NIE zufrieden bin?
  • Schickt er mir immer wieder Zweifel, ob es nicht auch noch besser gegangen wäre?
  • Wird er zum Scharfrichter, wenn’s mal nicht so toll gelaufen ist?

Ja, muss es denn das Modell „Perfekte Mam, perfekter Dad“ überhaupt sein? Oder reicht „GUT ist gut genug?“

Und was sollen überhaupt die „perfekten Eltern“ sein?

Ich erlebe in der Beratung und in Mindful-Compassionate-Parenting-Kursen sehr oft diesen immensen Druck, der auf uns Müttern und Vätern lastet. Eigentlich machen wir uns den selbst, weil wir so gut wie nur irgend möglich als Eltern sein wollen. Vielleicht weil es viele Dinge gibt, die wir anders machen wollen als die eigenen Eltern. Vielleicht, weil wir eine so große Angst haben, dass etwas den Kindern schaden könnte, was wir da tun oder nicht tun. Dazu kommt noch, dass es so viele widersprüchliche Empfehlungen von Opa und Oma, von Tanten, Nachbarn, Freunden und den unterschiedlichen Experten gibt.

Mutter- / Vater-Herz spüren lassen,   Bindung,   Präsenz …

Das sind die seelischen Grundnahrungsmittel für unsere Kinder!

Dazu gehört für uns Eltern auch, authentisch sein zu dürfen als normaler Mensch, eben nicht perfekt. Das lässt sich nicht messen, das lässt sich in kein Handbuch fürs Elternsein pressen. Und oft hilft „GUT ist gut genug“ mehr dahin, um genau diese Qualitäten unseren Kindern wirklich vorleben zu können als dieses  „Ich will alles so supergut wie nur irgendwie möglich machen“ mit dem Versuch, sich an eine „Gebrauchsanweisung“ zu halten, die jemand ganz anderes geschrieben hat.

„Wir Eltern sind auch nur Menschen!“ ist nicht umsonst gewählt als Titel meines Buches. Es will eben keine Gebrauchsanweisung sein, kein neues „Richtig oder Falsch“ definieren, sondern einen Beitrag liefern, dem eigenen Herz zu vertrauen und einige Optimierungsfallen zu umschiffen.

Wir dürfen als Eltern auch ein Vorbild sein im Umgang mit unserer Menschlichkeit, mit den begrenzten Kräften, mit unseren Schokoladenseiten und den scheinbaren Macken …

Eigentlich ist es ja furchtbar anstrengend neben jemand „perfekten“! (auch neben  jemand „perfektionistischen“!) Und das gilt auch für unser Kinder. Das überträgt sich. Es sind die Risiken und Nebenwirkungen unseres Perfektionismus, dass wir diese Fehler-UNfreundlichkeit, diese Angst vor Unzulänglichkeit, diese Angst, nicht zu genügen, weiterreichen in die nächste Generation.

Aber wer hat uns denn beigebracht, dass wir bei einem „Fehler“, wenn etwas nicht so geklappt hat, wie wir es wollten, dass wir das als eine gute Gelegenheit sehen können, etwas zu lernen? Und nicht als Drama und Beweis für unsere Unzulänglichkeit! Dass wir uns gerade in diesen Momenten selbst freundlich und tröstend begegnen können statt mit innerer Verurteilung.

Erziehungskonzepte der letzten 200 Jahre waren letztlich oft darauf ausgerichtet brave, gehorsame Untergebene oder Soldaten hervorzubringen. Das steckt in unseren Eltern und irgendwo auch noch in uns.

Deshalb ist Selbstmitgefühl eine so entscheidende andere Qualität.

Es ist  für den Perfektionisten in uns ein entscheidendes Gegenmittel gegen Selbstverurteilung, gegen Verunsicherung und Angst und gegen die Isolation und Scham. Selbstmitgefühl verbindet uns mit den anderen nicht perfekten Eltern, geteilte Menschlichkeit. Jeder von uns ist in seiner Weise einfach ein Mensch mit Grenzen, kein „Superwoman“,  kein „Superman“.

Auch wenn wir diese über Hollywood dauernd vor die Nase gehalten bekommen.

Aber die müssen meist nicht stundenlang Kinder mit 3-Monatskoliken tragen, jeden neuen Zahn überstehen, Fieber und Pubertät … die gehen auch nie aufs Klo, haben selber nie Durchfall …

Selbstmitgefühl lehrt uns, in schwierigen Momenten uns selbst wie einem guten Freund, einer guten Freundin zu begegnen. Uns anzunehmen in unserer Menschlichkeit und damit auch mit allen den anderen zu verbinden, denen es genauso geht. Eine Freundlichkeit uns selbst gegenüber zu kultivieren.

Was kann es Schöneres geben, als das den Kindern mitzugeben auf ihrem Lebensweg? Einen inneren Freund, den sie in sich tragen. Ein Gegenmittel gegen Selbstverurteilung und das „sich runter machen“.

Das ist eines der größten Geschenke, welches wir unseren Kindern machen können.

Hier ist eine Übung aus dem MCP-Programm, die uns hilft in diese Haltung des Selbstmitgefühls zu kommen:

(Sie ist auch im Elternbuch und ursprünglich aus dem Programm „MSC-Mindful Self-Compassion“. Ihr findet eine Anleitung als Audio-Datei unter Ressourcen in der Parenting Akademie zum freien Download)

Die Selbstmitgefühlspause

Diese Pause soll uns dazu einladen, wieder freundlich und mitfühlend mit uns selbst zu sein – gut geeignet gerade dann, wenn die Pferde mit uns durchgegangen sind und wir unglücklich darüber sind. Oder in jeder anderen Situation, die leidvoll, schwer oder schmerzhaft ist.

Das Ziel ist, sich selbst wie einem guten Freund/guter Freundin zu begegnen, anstatt sich durch Selbstverurteilungen oder dem Nachgrübeln über „Was hätte ich alles besser machen können“ fertig zu machen.

Nehme diese Pause in einer Situation in deinem Leben, die anstrengend oder belastend ist. Jetzt zum Üben nehme ein Ereignis, an das du dich erinnerst aus der letzten Zeit deines Elternseins … aber bitte ein eher nur mittelmäßig anstrengend oder belastendes.

… Fühle dich noch einmal hinein in die Situation … Was war los? Wer war beteiligt? Was wurde gesagt oder getan, oder auch nicht gesagt oder nicht getan? ….

Und wie fühlt sich das jetzt an, wieder an dieses Ereignis zu denken? Wie hast du dich körperlich gefühlt? … Welche Gedanken waren da? Welche Gefühle?

Jetzt höre diese Sätze, die wir uns in drei Schritten selber sagen, während wir eine Hand auf unser Herz legen. Empfinde die Sätze innerlich nach:

  1. Das ist jetzt einfach eine echt schwere Situation“ oder „Wow, das tut weh!“ oder „Da ist jetzt echt was schief gelaufen.“ oder „Mensch, das ist hart!“
  • Schonungslos anerkennen, was ist! Wirklich anerkennen, dass es so ist!

Das ist für uns als Eltern oft gar nicht leicht. Wir denken, das müssen wir doch alles locker packen, das darf uns doch nichts ausmachen …  Manchmal ist das die entscheiden Ebene der Selbstmitgefühlspause, uns einfach einzugestehen, dass das super anstrengend ist und wir ganz geschafft sind …

  1. „Keiner ist perfekt, auch ich als Mutter oder Vater nicht.“ oder „Jeder macht Fehler, das ist einfach menschlich.“ oder „Ich bin nicht alleine oder der/die einzige damit.“ oder „Das ist Teil des Lebens.“ „Jede Mutter und jeder Vater kommt mal an seine Grenzen oder weiß nicht weiter …“
  • Geteilte Menschlichkeit: Ohne zu verleugnen wie schwer es ist, öffnet sich der Blick über das momentane eigene Leiden hinaus. Es gilt hier, die Worte an die Situation anzupassen, je nachdem, ob es um einen „Fehler“, ein Scheitern, einen Verlust oder ein Missgeschick geht.
  1. „Was kann ich jetzt gebrauchen, gerade wo es mir nicht gut geht?“

oder „Was tut mir jetzt gut?“

  • Selbstfreundlichkeit: So wie ich jedem Freund, jeder Freundin in einer ähnlich misslichen Lage begegnen würde. Was würde ich ihm oder ihr sagen? Was würde ich selber gerne hören? Kann ich es zu mir selber sagen? …

Vielleicht auch nur „Möge ich mich so annehmen, wie ich bin…“   „Möge ich freundlich zu mir sein …“

Auch hier bedarf es ständiger Übung, dann finden sich die passenden inneren Botschaften immer schneller. Manchmal hilft dann schon die Kurzform: „Hey, Du wolltest doch freundlicher zu dir sein!“

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