Hast du heute schon einmal gelächelt?

Warum wir schönen Momenten besondere Beachtung schenken sollten – oder was es mit der positiven Neuroplastizität auf sich hat.

Das war aber ein schöner Ausflug – sind sich alle in der Familie einig. Zuhause angekommen beginnen die zwei Geschwister lauthals über ein Spielzeug zu streiten, wie häufig in den letzten Wochen. Du versuchst es zuerst zu ignorieren, um dann doch einzuschreiten und dem Streit ein Ende zu setzen. Als die beiden im Bett sind, sitzt du erschöpft auf der Couch, grübelst und gehst letztendlich verstimmt schlafen …. Und der schöne Ausflug? Nicht einmal mehr eine Erinnerung!
Psycholog*innen nennen das „Negativitäts-Bias“. Das Phänomen, das wir einen guten Tag haben können mit vielen schönen Momenten und dann geschieht ein Missgeschick und das überschreibt quasi das Positive von vorher. Beim Tagesrückblick ist dann das negative Erlebnis im Mittelpunkt.

Warum ist das so?

Das verdanken wir unserem Gehirn – genauer gesagt dem Teil des Gehirns, der für die Vorsicht und Sicherheit zuständig ist. Evolutionsgeschichtlich ist unser menschliches Gehirn halt noch immer stark geprägt von tausenden Jahren Gefahren a la Säbelzahntiger zu entkommen. Sprich wir sind sehr darauf ausgerichtet Bedrohungen zu erkennen – und schießen inzwischen dabei oft über das Ziel hinaus. Was dazu führt, dass wir tendieren mehr Augenmerk darauf zu legen, was für uns ärgerlich, irritierend oder bedrohlich ist – und damit „negativ“.

Die gute Nachricht dabei ist: Wir können diesem „Negativitätsbias“ etwas entgegen setzen – „positive Neuroplastizität“.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre bestätigen:

Was wir erfahren, denken und fühlen, hat Einfluss auf die Struktur unseres Gehirns.

Wir können unseren Verstand nutzen, um unser Gehirn zu verändern und unsere Psyche zu stärken.
Die Positive Neuroplastizität, nach dem bekannten amerikanischen Psychologen Rick Hanson, konzentriert sich darauf, positive Geisteszustände zu kultivieren und zu lernen, wie sich alltägliche Erfahrungen in innere Stärken verwandeln lassen. Zu diesen Stärken gehören Resilienz, Selbstwertgefühl, Mitgefühl, Glück und das Gefühl, geliebt zu werden. Das achtsame Verinnerlichen solch psychologischer Ressourcen kann uns beim Umgang mit Angst, Depression, Wut, Sucht, Enttäuschung, Verlust, Einsamkeit und Scham helfen – und es unterstützt Wohlbefinden, Effektivität, erfüllende Beziehungen, emotionale Heilung und spirituelle Praxis.

Wie funktioniert das nun ganz praktisch?

Es gibt sehr viele Möglichkeiten positive Erlebnisse und Erfahrungen zu kultivieren. Hier werden zwei praktische Übungen vorgestellt, die Rick Hanson uns allen ans Herz legt.

Innehalten und 5 Atemzüge bei Herzenserlebnisse

In Momenten, in denen unser Herz berührt wird oder wir im Einklang mit den Herzensangelegenheiten sind, INNEHALTEN und für 5 ruhige, tiefe Atemzüge verweilen. Das Gute und Wichtige ganz präsent halten und in sich aufnehmen mit dem Atmen.
Das kann eine schöne Blume sein, ein Lächeln auf dem Gesicht unseres Kindes oder eines anderen Menschen, die Sonne auf unserem Gesicht, ein Kinderlachen, Freude und Verbundenheit mit unseren Kindern …
Diese informelle Praxis kann sehr gut auch zusammen mit Kindern durchgeführt werden: Dann nennen wir es „5 Atemzüge Glück tanken“
Ein Frühlingsspaziergang, die Sonne scheint durch die ersten sich entfaltenden, hellgrünen Blätter, Vögel zwitschern – „Ach, wie ist das schön“, kommt uns vielleicht gegenüber unserem Kind über die Lippen. Jetzt können wir folgende Mini-Übung machen: „Hey, nehmen wir doch fünf ruhige, tiefe Atemzüge und genießen das Schöne ganz und gar. Wir können das Glück mit jedem Atemzug ganz fest in uns aufnehmen. Wir sind ganz in diesem Moment und tanken das Glück voll in uns rein.“

Das Gute wirklich in unser Gehirn aufnehmen – Taking in the Good

Eine Übung in drei Schritten, die man jederzeit machen kann, wann ein paar Minuten Ruhe da sind:

SCHRITT 1

Als ersten Schritt erinnere dich an eine gute Erfahrung, ein schönes Erlebnis. Gerne ein Beispiel im Umgang mit den Kindern nehmen in dem du dich wohl gefühlt hast oder zufrieden warst mit dir selbst…

Rufe diese Begebenheit ganz lebendig auf. 

SCHRITT 2

Im zweiten Schritt reichere diese Erfahrung an. Mit allen Sinnen erinnern, sich dem Angenehmen und Wohligen der Erfahrung noch einmal ganz hingeben, sich darin baden und einweichen … suhlen …

SCHRITT 3

Als dritten Schritt jetzt das Alles absorbieren, diese Erfahrung dauerhaft in dich aufnehmen.

Du kannst sie tief einatmen, in alle Zellen des Körpers …

Du kannst in der Erfahrung baden und sie durch die Haut aufnehmen … 

Du kannst „in einem goldenen Regenschauer stehen“ … 

Vielleicht willst du sie ja auch innerlich in einen Speicherplatz geben, im Gehirn vernetzen.

Die Erfahrung wird ab jetzt auf immer ein Teil von dir sein, du wirst sie ab jetzt immer in dir tragen
 
 
Das Kultivieren von positiven Erfahrungen kann auch ganz gezielt eingesetzt werden, wenn man sich leicht und oft besorgt oder ängstlich erlebt.

Der „Trick“ ist dann, sich Erlebnisse und Erfahrungen zu wählen, wo man eben einmal nicht ängstlich oder besorgt war. Wo etwas gelungen ist, was man sich vornimmt. Dann kann man zB für die Übung „Taking in the good“ genau so einen Moment wählen, um es stärker in seinem Gehirn zu verankern – da die nächsten „negativen“ Erfahrungen warten schon hinter der Ecke!

Author: Peter Hofmann