Raus aus der Optimisierungfalle!

In der Elternrolle sind wir so tief berührt in unseren Emotionen und so gefordert wie sonst kaum in unserem Leben.

Das kann wunderbar sein und es kann verunsichern, große Ängste und Stress auslösen.

Oft haben wir die höchsten Erwartungen, wie toll wir als Eltern sein wollen. Wir beschäftigen uns mit zahlreichen Ratgebern, die uns mal freie Entfaltung der Kinder, mal Beziehung auf Augenhöhe, mal klare Grenzen gegen die kleinen „Tyrannen“ ans Herz legen. Und je mehr wir von diesen Büchern lesen, desto verwirrter bleiben wir zurück. Und geraten schließlich doch so außer Kontrolle und werden heftiger, als wir wollten, verhalten uns vielleicht sogar so, wie wir uns vorgenommen hatten, es nie zu tun. Die meisten Studien in der Erziehungswis- senschaft konstatieren eine zunehmende Verunsicherung von Eltern. Was manchmal untergeht, ist, dass wir diesen Fokus auf Optimierung, das Verbesserung, Erreichen des Bestmöglichen so verinnerlicht haben, dass wir vor allem auf die Defizite schauen, auf das, was nicht passt, was fehlt, auf unsere Fehler, und nicht auf das Erreichte, auf die Errungenschaften.

Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft, die sich wirtschaftliches Wachstum, Weiterentwicklung, Fort- schritt und Optimierung in allen Lebensbereichen auf die Fahne geschrieben hat. Und so wollen wir auch unsere Elternschaft optimieren, möchten das Beste für unsere Kinder und stehen damit besonders unter Strom.

Hier schnappt die Optimierungsfalle von zwei Seiten zu. Der verinnerlichte Druck hin zur Perfektion trifft auf die evolutionär begründete Neigung unseres Gehirns, das Negative wahrzunehmen und zu speichern. Das bedeutet, wir wollen es zwar besonders gut machen, zugleich stechen uns selbst jedoch zunächst all unsere Fehler und Schwächen ins Auge. Während es uns leichtfällt, mit anderen in schwierigen Situationen Mitgefühl zu empfinden, gehen wir mit uns selbst oft hart ins Gericht.

Mitgefühl ist seit einigen Jahren ein bedeutsames Thema in der Entwicklung der achtsamkeitsbasierten Methoden. Und Mitgefühl für unsere Kinder ist eine der urtümlichsten Regungen als Eltern. Was ist aber mit Mitgefühl für uns selbst? Das scheint instinktiv und per Definition schon ausgespart. Eltern opfern sich für ihre Kinder auf! Dabei zeigen Untersuchungen, dass Stress und Überforderung der Eltern zu den Hauptrisikofaktoren für psychische Auffälligkeiten bei Kindern gehören.

Zum Wohle der Kinder ist also eines wichtig: Raus aus der Optimierungsfalle!

Achtsame Selbstfürsorge, Selbstfreundlichkeit und Selbst- mitgefühl können in den unweigerlich auftretenden schwierigen Zeiten als Eltern ein wesentlicher Beitrag zu mehr Wohlbefinden von uns selbst und damit auch zum Wohlbefinden unserer Kinder sein. Gelassenheit zu entwickeln, statt Optimierungswahn und Perfektionis- mus, hilft. Gelassenheit gegenüber dem unabänderlichen Auf und Ab, gegenüber den dauernden Veränderungen, gegenüber der Tatsache, dass wir alle nicht perfekt sind und auch als Eltern nicht perfekt sein müssen. Dass wir Grenzen haben und haben dürfen. Dass wir uns verständlicherweise das Beste für unsere Kinder wünschen und dennoch auch unsere Möglichkeiten Grenzen haben. Dass jeder Mensch, auch unsere Kinder, seine eigene Umlaufbahn hat, die wir nur teilweise beeinflussen kön- nen im Fluss des Lebens. Selbstmitgefühl bedeutet, uns selbst ein guter Freund zu sein – auch und gerade in schwierigen Zeiten.

Doch wie oft verurteilen wir uns selbst als Eltern hart? Wie oft sparen wir in fordernden Zeiten der Eltern- schaft vieles ein, was uns selbst nährt und erfreut, weil wir es als Eltern so gut und richtig wie nur irgendmöglich machen wollen und zugleich nicht bemerken, wie uns die Kraft ausgeht, weil wir nicht mehr gut für uns selbst sorgen? Wir können lernen, dass die Selbstfürsorge etwas Wunderbares ist für Eltern, das auch den Kindern zugutekommt. Vorgelebte Selbstfreundlichkeit ist eine wesentliche Mitgift für das Wohlbefinden im Leben des Kindes. Vorgelebtes Selbstmitgefühl, wenn uns selbst etwas misslungen ist, stellt einen wesentlichen Faktor für die Entwicklung von Selbstwertschätzung und Resilienz bei unseren Kindern dar.

Doch auch hier ist es wichtig, den ersten Schritt nicht zu überspringen; wie im Flugzeug können wir erst dann anderen helfen, wenn wir selbst unsere Sauerstoffmaske aufgesetzt haben. Das Üben und Kultivieren von Selbst- mitgefühl und Selbstfreundlichkeit ist eine der schönsten Aufgaben, der wir uns als Eltern widmen können. Einfach mit gutem Gewissen für uns selbst zu sorgen und damit etwas Gutes für Kinder zu tun. Oft geht es bei diesem Üben darum, unnötigen Druck herauszunehmen und uns auf das Wichtige zu besinnen. Dazu gehört, dass wir uns selbst – so unvollkommen, wie wir sind – vertrauen und auch unseren Kindern zutrauen, dass sie auf ihre eigene Weise durchs Leben gehen werden.

Scritto da: Jörg Mangold